Er­st­mals Entstehung ein­er chemischen Bindung ‚live‘ beo­bachtet

Einem Team von Physikern unter Leitung von Martin Wolf (Fritz-Haber-Institut Berlin) und Wolf Gero Schmidt (Universität Paderborn) ist ein entscheidender Durchbruch gelungen: Sie haben weltweit zum ersten Mal und „in Echtzeit“ die Änderung der Elektronenstruktur während einer chemischen Reaktion beobachtet. Mithilfe umfangreicher Computersimulationen haben die Wissenschaftler die Ursachen und Mechanismen der Elektronenumverteilung aufgeklärt und visualisiert.  Ihre Ergebnisse wurden nun in der renommierten, interdisziplinären Fachzeitschrift „Science“ veröffentlicht (https://doi.org/10.1126/science.aar4183).

„Chemische Reaktionen sind durch die Bildung bzw. den Bruch chemischer Bindungen zwischen Atomen und die damit verbundenen Änderungen atomarer Abstände gekennzeichnet“, erklärt Wolf Gero Schmidt. „Diese Bewegungen auf atomaren Skalen sind extrem schnell, d.h. im Bereich von Femto- und Pikosekunden. Während der Reaktion verschieben sich aber nicht nur die Atome, sondern es verändern sich auch die Positionen und Energien der Elektronen in der Umgebung. Diese Dynamik ist entscheidend für die Bildung einer chemischen Bindung. Bis jetzt war sie jedoch nicht meßbar“, so der Paderborner Wissenschaftler weiter.

Um der zeitlichen Änderung der Elektronenstruktur auf die Spur zu kommen, präparierten die Physiker atomar dünne Drähte aus Indium auf einer Siliziumoberfläche. Im Grundzustand besetzen die Elektronen lokalisierte Orbitale. Infolge optischer Anregung durch einen Laserpuls delokalisieren die Elektronen entlang der Indiumdrähte und es entsteht eine metallische Bindung. Mittels zeit- und winkelaufgelöster Photoemission verfolgten die Forscher die Änderung der Energie- und Impulsverteilung der Elektronen während der nur wenige Femtosekunden dauernden Entstehung der chemischen Bindung. Durch numerische Simulationen konnten die Meßgrößen dann der räumlichen und zeitlichen Verteilung der Elektronen zugeordnet werden, wodurch eine ‚Live-Aufnahme‘ der chemischen Reaktion entstand.

Die quantenmechanische Berechnung vieler hundert angeregter Elektronen im komplexen Zusammenspiel mit der Dynamik der an der Reaktion beteiligten Atome erfordert Supercomputer-Ressourcen, die durch das Paderborn Center for Parallel Computing und das Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart zur Verfügung gestellt wurden. Durch die numerische Simulation wurde das physikalische Konzept von Energie- und Impulsverteilung der Elektronen mit dem chemischen Bild der Bindung zusammengeführt. „Die wechselseitige Beeinflussung von atomaren und elektronischen Freiheitsgraden im Verlauf einer chemischen Reaktion ist gewissermaßen der ‚heilige Gral‘ der Chemie“ erklärt Prof. Wolf Gero Schmidt von der Universität Paderborn. „Durch die numerischen Simulationen konnten wir in bisher unerreichter Detailschärfe den Zusammenhang zwischen elektronischer Anregung und Reaktionspfad aufklären. Das wird es zukünftig erlauben, elektronische Anregungen für Wunschreaktionen gewissermaßen maßzuschneidern.“

Abbildung (Andreas Lücke): Schematische Darstellung der optisch angeregten Indium-Drähte auf der Silizium-Oberfläche.
Foto (Oksana Schmidt): Prof. Dr. Wolf Gero Schmidt, Lehrstuhl für Theoretische Materialphysik.

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