Paralympics unter erschwerten Bedingungen

Studie der Universität Paderborn verdeutlicht Belastungen der Paralympics-Teilnehmenden

Mit einem Jahr Verspätung werden heute die Paralympischen Spiele in Tokio eröffnet. Rund 4.500 Sportler*innen aus 160 Ländern gehen unter besonderen Umständen an den Start. Wie die Olympischen Spiele finden auch die Paralympics ohne Zuschauer*innen statt, mit Ausnahme von japanischen Schulkindern. Schon bei der Vorbereitung auf diesen Höhepunkt hatten die Spitzensportler*innen mit erschwerten Bedingungen zu kämpfen. Wegen der Coronapandemie fielen viele Wettkämpfe aus, Trainingsanlagen waren lange geschlossen und nicht immer gab es passende Alternativen. Welche Auswirkungen die Pandemie auf das subjektive Wohlbefinden der Athlet*innen hat und mit welchen Belastungen sie sich konfrontiert sehen, untersuchen Forscherinnen des Arbeitsbereichs Inklusion im Sport an der Universität Paderborn. In einer vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) geförderten Studie haben die Sportwissenschaftlerinnen Prof. Dr. Sabine Radtke und Dr. Marie Biermann 1.043 Kaderangehörige aus olympischen und paralympischen Sportarten zu Belastungen, Bewältigungsstrategien und Folgen der Coronapandemie befragt. Die Ergebnisse zeigen: Einige Para-Sportler*innen machen sich Sorgen um die eigene Gesundheit und fühlen sich durch den Mangel an Trainingsmöglichkeiten während der Lockdowns nicht optimal auf die Spiele vorbereitet.

Vorzeitiges Karriereende wegen mangelnder Vorbereitungsmöglichkeiten?

36 Prozent der Mitglieder des deutschen Paralympics-Kaders, die an der Paderborner Studie teilgenommen haben, gehören nach eigenen Angaben zur Corona-Risikogruppe, verglichen mit nur vier Prozent der Befragten des Olympia-Kaders. Laut Radtke befürchten die Para-Athlet*innen deshalb, im Falle einer Covid-19-Erkrankung von einem schwereren Krankheitsverlauf betroffen zu sein als Sportler*innen ohne Behinderung. Dies habe im bisherigen Pandemie-Verlauf bei ihnen zu einer starken Verunsicherung geführt.

Auch die Vorbereitung auf die Paralympischen Spiele sei für die Kadermitglieder alles andere als optimal verlaufen. 64 Prozent der Befragten aus dem Paralympics-Kader geben an, bei der Vorbereitung auf die Spiele stärker als Athlet*innen ohne Behinderung von den Auswirkungen der Coronapandemie beeinträchtigt gewesen zu sein. Die Sportler*innen begründen das mit dem eingestellten bzw. stark reduzierten Trainings- und Wettkampfbetrieb im Pandemieverlauf, und den – je nach Behinderungsart – nicht vorhandenen Möglichkeiten eines alternativen Trainings. Marie Biermann erklärt: „Sportler*innen mit Prothesen oder im Rollstuhl konnten ihr Training auf der Tartanbahn oder in der Halle nicht einfach durch Jogging auf unebenem Waldboden ersetzen.“ Doch nicht nur das tägliche Training, sondern auch Trainingslager und Wettkämpfe gibt es seit ca. anderthalb Jahren so gut wie nicht mehr. Die aktuelle Studie der Universität Paderborn macht deutlich, dass 40 Prozent der Sportler*innen, die der höchsten Kaderstufe des Deutschen Behindertensportverbands angehören, in den ersten zwölf Monaten der Pandemie an keinem Wettkampf teilgenommen haben. „Es ist nicht verwunderlich, dass angesichts dieser Umstände 14 Prozent der befragten Paralympics-Kadermitglieder im März 2021 darüber nachgedacht haben, ihre Sportkarriere vorzeitig zu beenden“, resümiert Radtke.

Getrübte Freude angesichts steigender Corona-Zahlen

Knapp ein Drittel der Mitglieder des Paralympics-Kaders, die an der Umfrage teilgenommen haben, sprachen sich im März dagegen aus, dass die Paralympischen Spiele in diesem Jahr stattfinden. Dabei verwiesen sie unter anderem auf die Proteste von Teilen der japanischen Bevölkerung gegen die Austragung der Spiele trotz Pandemie. „Einige Athlet*innen sind der Meinung, dass das Stattfinden der Spiele angesichts des Widerstands der japanischen Bevölkerung nicht gerechtfertigt ist“, so Biermann. Deshalb sei die Freude über die eigene Paralympics-Teilnahme in Anbetracht der steigenden Corona-Zahlen im Land bei einigen Sportler*innen getrübt. Wenige Tage vor der Eröffnungsfeier hat sich die Coronalage in Japan verschlechtert und auch im Paralympischen Dorf gibt es bereits Corona-Fälle. Dazu Radtke: „Bei manchen Paralympics-Teilnehmenden schwingt daher die Angst mit, dass ihnen Ähnliches widerfahren könnte wie dem während der Olympischen Spiele positiv getesteten Radsportler Simon Geschke.“

Foto (Universität Paderborn, Besim Mazhiqi): In einer vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) geförderten Studie haben Sportwissenschaftlerinnen der Universität Paderborn 1.043 Kaderangehörige aus olympischen und paralympischen Sportarten zu Belastungen, Bewältigungsstrategien und Folgen der Coronapandemie befragt.
Foto (Heiko Appelbaum): Prof. Dr. Sabine Radtke leitet die AG „Inklusion im Sport“ am Department Sport und Gesundheit der Universität Paderborn.
Foto (Heiko Appelbaum): Dr. Marie Biermann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der AG „Inklusion im Sport“ am Department Sport und Gesundheit der Universität Paderborn.

Kontakt