Pa­der­bor­ner Sport­wis­sen­schaft­ler Brett­schnei­der wird 80 Jah­re alt

 |  Sport und Gesundheit

Am Samstag, dem 15. Juli 2023 vollendet der langjährige Paderborner Sportwissenschaftler Prof. Dr. Wolf-Dietrich Brettschneider sein 80. Lebensjahr. Nach seiner Promotion im Jahre 1975 hatte er Professuren an der Deutschen Sporthochschule Köln, der Universität Hamburg und der Freien Universität (FU) Berlin. An seiner „Heimatuniversität“, wo er von 1978 bis 1991 und von 1998 bis 2008 lehrte und den Arbeitsbereich „Sport und Erziehung“ leitete, wurde er 2008 in den Ruhestand verabschiedet. Für kurze Zeit war er 2010 als Gründungsdirektor an der National University of Qatar in Doha tätig.

Zu Beginn seiner beruflichen Tätigkeit widmete sich Brettschneider vor allem Fragen des Schulsports. Sportliche Interessen der Schüler, Handlungsorientierungen von Sportlehrern und die Suche nach den Kriterien für guten Sportunterricht standen dabei im Vordergrund. Das wichtigste Thema seiner wissenschaftlichen Arbeit aber war die – zumeist in großvolumigen Forschungsprojekten vollzogene – sportbezogene Jugendforschung, die er in all ihren Facetten empirisch ausleuchtete. Markenzeichen seiner Arbeit waren Innovation und methodische Vielfalt.

In seiner ersten größeren Arbeit, die er mit seinem Paderborner Kollegen Michael Bräutigam verfasste, untersuchte er mit quantitativen und qualitativen Methoden den (Sport-)Alltag von Jugendlichen. Seine von Anfang an starke internationale Ausrichtung trug dazu bei, Jugendforschung auch in interkultureller Perspektive zu betreiben. Unterstützt durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung entstanden vergleichende Analysen sportiver Lebensstile von Jugendlichen in Deutschland, der USA, China und Israel.

In seiner Berliner Zeit an der FU standen Untersuchungen der Schülerschaft an den Kinder- und Jugendsportschulen der ehemaligen DDR im Mittelpunkt, deren sportliche Entwicklung er im Kontext ihrer sozialen und kognitiven Entwicklung in aufwändigen Langzeitstudien (u.a. mit Guido Klimek) untersuchte. Gemeinsam mit Alfred Richartz ging er dezidiert der Frage nach der Doppelbelastung von jugendlichen Hochleistungssportlern in Schule und Sport nach. Der Titel ihres Buches „Weltmeister werden und die Schule schaffen“ wurde zum Label der neuen Eliteschulen des Sports in Deutschland.

Öffentliches und mediales Aufsehen in sport- und bildungspolitischer Hinsicht erregte Brettschneider mit seinen Studien zur Jugendarbeit im Sportverein, die er mit Torsten Kleine verfasste, und mit seiner repräsentativen Untersuchung zum Schulsport in Deutschland, deren Leitung und Koordination er innehatte. Vor allem die sog. „Brettschneider-Studie“, deren Ergebnisse in mancher Hinsicht nicht dem Selbstverständnis der Sportorganisationen entsprachen, wurde in der Öffentlichkeit breit diskutiert. Nach anfänglich kritischer Rezeption durch die Sportorganisationen und großer Aufregung sorgten die Studienergebnisse im Nachhinein für eine Reihe konstruktiver Verbesserungen in der Jugendarbeit der Sportvereine.

Ähnlich verlief die Rezeption der sog. „DSB-SPRINT-Studie“, deren Ergebnisse viele Mängel im Schulsport aufdeckten, die die Bildungsministerien der Länder wenig erfreut zur Kenntnis nehmen mussten. Auf eine Fortsetzung im Sinne von „Sprint.2.0“ wird immer noch gewartet … Erwähnung verdient auch die vor etwa 20 Jahren gemeinsam mit dem Essener Kollegen Roland Naul durchgeführte und von der EU finanzierte Studie zur körperlichen Aktivität und Inaktivität von Heranwachsenden mit ihren Auswirkungen auf Übergewicht und Adipositas in einer Reihe von europäischen Ländern. Die Ergebnisse auch dieser Studie hatten politische Konsequenzen.

Brettschneider hat im Laufe seiner beruflichen Karriere zwölf Bücher geschrieben bzw. herausgegeben und etwa 120 Fachbeiträge in nationalen und internationalen Zeitschriften publiziert. Er war im Herausgeberkollegium verschiedener Schriftenreihen und Zeitschriften im In- und Ausland tätig. Er war Sondergutachter der Deutschen Forschungsgemeinschaft, ferner im Direktorium des Bundesinstituts für Sportwissenschaft und dort ebenfalls Vorsitzender des Ausschusses für Sozial- und Verhaltenswissenschaften. Auch in der Deutschen Gesellschaft für Sportwissenschaft hatte er mehrere ehrenamtliche Funktionen inne. „Brett“ – wie ihn Kollegen und Freunde nennen – war Vizepräsident im Weltrat für Sportwissenschaften. Für den Deutschen Sportbund, eine der Vorgängerorganisationen des heutigen DOSB, leitete er die Bildungskommission und war Mitglied in den Ausschüssen für Wissenschaft und Leistungssport.

Für seine wissenschaftlichen Leistungen ist er mehrfach ausgezeichnet worden. Darunter international mit dem AIESEP „IOC President’s Prize“ und der „Prince Philip Lecture“ sowie national mit der Goldenen Ehrennadel der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft.

In zahlreichen Funktionen hat er sich für seine Paderborner Universität eingesetzt, sei es als Sprecher des Senats, als Dekan, als Mitglied des Forschungsausschusses oder als Geschäftsführender Direktor des Departments für Sport und Gesundheit. Brettschneider hat auch versucht, sein wissenschaftliches „Know how“ im lokalen Bereich einzubringen. Angeregt durch eine Idee aus England, hat er in Paderborn z.B. den „Walking Bus“ eingeführt, der Schulkinder zu einem aktiven und sicheren Schulweg anleitete und der sich ganz schnell deutschlandweit verbreitete. Gemeinsam mit seinem Kollegen und damaligen Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Ernährungswissenschaft führte er das Paderborner Projekt zur Adipositasprävention (PAPI) durch, in dem alle Kindergartenkinder im Kreis Paderborn untersucht wurden und Hinweise für einen gesunden Lebensstil erhielten.

Im Jahre 2012 wurde Brettschneider, der in Lüdenscheid im Märkischen Kreis aufwuchs und an den Universitäten Münster und Bristol die Fächer Englisch und Sport studiert hat, von der Stadt Paderborn als „verdiente Persönlichkeit des Sports“ ausgezeichnet. Er selbst ist auch mit 80 immer noch sportlich aktiv: Mit alten Studienfreunden geht er noch Jahr für Jahr in der Schweiz zum Skilaufen, spielt Tennis in seinem Dorfverein und versucht sich im Golfen: „Wolf-Dietrich Brettschneider hat mit seiner empathischen Art ganze Generationen von Sportstudierenden ausgebildet und geprägt. Ich habe ihn als kritischen, aber immer konstruktiven, wissenschaftlichen Begleiter des organisierten Sports erlebt. Damit hat er wichtige Impulse für dessen Weiterentwicklung, insbesondere in der Kinder- und Jugendarbeit, gegeben. Zum 80. Geburtstag wünsche ich Wolf-Dietrich Brettschneider alles erdenklich Gute, verbunden mit herzlichem Dank für seinen vielfältigen und wertvollen Rat über all die Jahre“, gratuliert IOC-Chef Thomas Bach dem Jubilar. Beide sind sich seit mehreren Jahrzehent kollegial und freundschaftlich verbunden.

Prof. Dr. Detlef Kuhlmann
(ehemaliger Prof. an der Universität Hannover)

 

Prof. Dr. Wolf-Dietrich Brettschneider